Dr. Claudia Mika ist die Gründerin und Geschäftsführerin von Temos International Healthcare Accreditation, einer in Deutschland ansässigen internationalen Akkreditierungsorganisation, die Krankenhäuser, Kliniken, Rehabilitationszentren, Kinderwunschzentren und Zahnkliniken weltweit überprfüft und akkreditiert. Heute präsentieren wir Ihnen einen Beitrag von Dr. Mika zum Thema „Akkreditierung von Kinderwunschzentren: Wenn Qualität und patientenzentrierte Behandlung auf Nachhaltigkeit, Führungsverantwortung und Patientensicherheit treffen.
Kinderwunschzentren wurden lange Zeit von internationalen Akkreditierungsorganisationen ignoriert und stattdessen behandelt wie allgemeine ambulante Behandlungszentren. Dieser Ansatz verkennt jedoch die klinischen Anforderungen sowie die spezifischen Gegebenheiten der assistierten Reproduktionstechnologien (ART) im Labor, die spezifisch für die Reproduktionsmedizin sind, sowie die Elemente der Patientenerfahrung (Englisch: patient experience), die diese Patienten auszeichnen. Daher haben wir uns im Jahr 2019 dazu entschlossen, ein Akkreditierungsprogramm für Kinderwunschzentren zu entwickeln, um der Forderung nach speziellen Standards für „IVF-Kliniken“ und den von ihnen betreuten Patienten und Kunden nachzukommen.
Warum Akkreditierung?
Akkreditierung hat eine klare Mission, nämlich die Gesamtqualität der von einer Klinik oder einem Krankenhaus angebotenen Gesundheitsdienstleistungen sowie die Patientenerfahrung zu optimieren oder zu verbessern. Die Akkreditierung selbst ist ein Prozess, der „Best Practices“ festlegt, die auch als Standards bezeichnet werden. Die Klinik oder das Krankenhaus muss im Rahmen einer Selbstbewertung und einer Begehung vor Ort durch die Akkreditierungsorganisation nachweisen, dass sie diese Anforderungen erfüllt. Die Standards basieren auf den Ergebnissen von wissenschaftlichen Studien, etablierten Best Practices, internationalen Leitlinien zur Patientensicherheit und der Infektionskontrolle und weiteren Quellen. Es ist ein kooperativer, freiwilliger Prozess zwischen der Akkreditierungsorganisation und der Klinik oder dem Krankenhaus mit dem Ziel, Prozesse zu optimieren und sich zu einer kontinuierlichen Qualitätsverbesserung zu verpflichten.
Unterschiedliche Kinderwunschzentren haben unterschiedliche Bedürfnisse, Erwartungen und Anforderungen bzgl. der Akkreditierung ihrer Organisation. Schauen wir uns die praktische Umsetzung anhand zweier Beispiele an und begleiten zwei Kinderwunschkliniken in unterschiedlichen Ländern dieser Welt.
Kinderwunschzentrum A: Auf bestehende Stärken aufbauen
Klinik A befindet sich in einem touristisch attraktiven und politisch stabilen Land, hat einen guten internationalen Ruf und wird daher von Patienten aus dem In- und Ausland gleichermaßen für eine Behandlung ausgewählt. Klinik A ist voll ausgelastet, ist finanziell erfolgreich und beteiligt sich an nationalen und internationalen Forschungsprojekten und wissenschaftlichen Publikationen. Die Klinik ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen, die Patientenzahlen und auch die Anzahl der Mitarbeiter hat zugenommen.
Der Geschäftsführer erkennt, dass die Kommunikation im kleinen Team wesentlich einfacher war und die Mitarbeiter wussten, was zu tun ist. In den letzten Monaten, einer Zeit, in der viele neue Mitarbeiter dazugekommen sind, hat die Zahl der Patientenbeschwerden zugenommen. Häufige Beschwerden von Patienten sind lange Wartezeiten und unfreundliches Personal. Auch die Mitarbeiter beklagen sich über lange Arbeitszeiten und fühlen sich nicht ausreichend geschult, um mit den verschiedenen Kulturen und internationalen Patienten umzugehen, denen sie jeden Tag begegnen.
Der ärztliche Leiter der Klinik, der den Eigentümern direkt Bericht erstattet, ist sowohl für das klinische Outcome als auch für das Beschwerdemanagement verantwortlich. Die Zahlen der vergangenen Monate sind nicht zufriedenstellend und erfordern Maßnahmen.
Die Klinikbesitzer und der ärztliche Leiter sind sich einig, dass sowohl bzgl. der Mitarbeitermotivation und -zufriedenheit als auch der Patientenzufriedenheit Handlungsbedarf besteht. Eine Restrukturierung ist unumgänglich. Medizinische und nicht-klinische Prozesse sowie die Abläufe im Labor sollen klar definiert und standardisiert und anschließend im Team regelmäßig analysiert, bewertet und verbessert werden.
Anstatt einen oder mehrere Berater für dieses Projekt zu engagieren, beschließen die Besitzer und der ärztliche Leiter, sich für eine Akkreditierung zu bewerben, da sie dies als ganzheitlichen Ansatz verstehen und entsprechende Unterstützung und Anleitung durch die Akkreditierungsstandards sowie den begleitenden „Werkzeugen“ wie der Selbstbewertung und des Fragenkatalogs erwarten. „Learning by doing“ ist das Motto während der Vorbereitungsphase und Implementierung der Standards.
Die Temos Standards adressieren u.a. die Themengebiete „Medizinische Services“, „ART Labor“, „Ergebnisqualität und Effektivität“, „Mitarbeitermanagement“, „Führung“, „Management von Internationalen Patienten“, „Qualitätsmanagement“ und andere Bereiche, die es der Geschäftsführung und den Mitarbeitern erleichtern, ihre Bereiche zu überarbeiten und im Sinne der Servicequalität zu verbessern.
Nach erfolgreichem Abschluss des Akkreditierungsprozesses erreicht die Klinik ihre Ziele hinsichtlich der klinischen Ergebnisse, der Patientenzufriedenheit als Teil der Patientenerfahrung, des Umsatzes und anderer Indikatoren und übertrifft diese sogar in einigen Bereichen. Als unerwarteter, aber sehr geschätzter Mehrwert berichten Mitarbeiter nach dem Akkreditierungsbesuch vor Ort, dass die abteilungsübergreifenden Teambesprechungen, die während der Vorbereitung an den Standards regelmäßig stattgefunden haben, für alle von großem Wert und Motivation waren und seitdem fortgesetzt werden.
Kinderwunschzentrum B: Realisierung der eigenen Vision
Klinik B befindet sich in einem GUS-Land und ist auf nationaler Ebene für ihre gute Behandlung bekannt. Die Auslastung ist zufriedenstellend, es bestehen jedoch Kapazitäten, eine höhere Anzahl an Patienten und Kunden zu betreuen. Die Klinik wird von der Eigentümerin selbst geleitet, einer qualitätsorientieren, durch ethische Werte motivierten Geschäftsführerin. Ihre Vision ist es, die Klinik zu einer modernen Klinik auszubauen, die auf dem neuesten Stand der Technik ist und im internationalen Wettbewerb bestehen kann. Ihr Ziel ist es, internationale Standards bzgl. des klinischen Ergebnisses, der Infektionskontrolle, der Laborleistungen und des nicht-klinischen Angebotes in der Klinik zu implementieren und damit die Klinik zu einer Anlaufstelle für nationale und internationale Patienten zu etablieren.
Die technische Infrastruktur und die Laborausstattung der Klinik sind gut, alle Geräte werden regelmäßig gewartet. Aufgrund von Sprachbarrieren ist der Zugang zu regelmäßigen internationalen Schulungen und Ausbildungsprogrammen beschränkt. Dies hat zur Folge, dass die Ziele des Teams bzgl. der Anzahl der Behandlungen und auch bzgl. des klinischen Outcomes bisher nicht erreicht werden konnten. Die Geschäftsführerin sucht daher nach Möglichkeiten und Quellen, um das Team zu unterstützen und ihre Vision zu verwirklichen.
Die Geschäftsführerin der Klinik kontaktiert Temos und startet das Antragsverfahren für die Akkreditierung ihrer Klinik als erste Kinderwunschklinik des Landes. Die Mitarbeiter sind aufgeregt und ängstlich zugleich, wissen sie doch nicht, was sie zu erwarten haben.
Schritt für Schritt werden die Akkreditierungsstandards übersetzt und mit Unterstützung des Temos Headquarters und der lokalen Vertretung vor Ort implementiert. Ein Qualitätsmanagement sowie ein Dokumentationssystem werden eingeführt, Verantwortlichkeiten zugewiesen, Ziele festgeschrieben und vieles mehr. Die Prozessbeschreibungen und Verfahren werden mit internationalen Standards verglichen und nach Bedarf entsprechend angepasst.
Regelmäßige Schulungen werden eingeführt, um die Mitarbeiter mit den neuen Prozessen und Arbeitsabläufen vertraut zu machen und sich in ihrer „neuen Rolle“ wohlzufühlen. All diese Bemühungen führen dazu, dass Klinik B die Akkreditierung erfolgreich abschließt. Dies wird mit der gesamten Belegschaft in Form einer großen Party gefeiert. Eine Marketingkampagne wird gestartet, um inländische und internationale Patienten und Kunden zu kommunizieren, dass sie in Klinik B herzlich willkommen sind.
Akkreditierung: Eine unendliche Geschichte
Einmal gestartet, ist Akkreditierung in der Regel eine nichtendende, positive Reise, ein sich fortsetzender Prozess, der alle Mitarbeiter und Kollegen mit einbezieht mit dem Ziel, die Qualität und Effizienz der klinischen und nicht-klinischen Dienstleistungen zum Nutzen der Patienten, Kunden, Mitarbeiter und Inhaber messbar zu verbessern.
Der Temos Akkreditierungsprozess beginnt mit einem einfachen Registrierungsprozess über die Website, woraufhin ein individuelles Angebot erstellt wird. Nach Unterzeichnung des Vertrages beginnt die “harte Arbeit” für die Klinik. Die Kunden erhalten die Zugangsdaten zu der Temos-internen, gesicherten Online-Plattform, wo sie die Standards und die dazugehörigen Online-Tools zur Vorbereitung und Selbstbewertung finden. Schritt für Schritt werden die Standards bearbeitet und die begleitende Selbstbewertung ermöglicht es der Klinik, ihren Fortschritt zu messen und zu verfolgen. Das Temos Team ist dabei immer für Fragen ansprechbar und unterstützt die Klinik bei Bedarf. Der Termin für die Begehung vor Ort wird gemeinsam festgelegt, wenn die Klinik sich entsprechend vorbereitet fühlt.
Der Akkreditierungsbesuch vor Ort wird von einem Expertenteam durchgeführt, das in der Regel aus einem Mediziner oder Embryologen sowie einem Experten für Qualitätsmanagement besteht. Alle Temos Experten sind mehrsprachig und kommen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturkreisen. Das gesamte Team kann damit auf Erfahrungen in über 100 Ländern zurückgreifen. Schwerpunkt des Besuches der Experten ist es natürlich, die Konformität mit den Temos Standards zu überprüfen. Ein wichtiger Teil besteht aber auch darin, sich vor Ort mit den Kollegen der Klinik auszutauschen, Wissen zu teilen und dabei die jeweiligen kulturellen Unterschiede zu berücksichtigen. Nach dem Besuch werden Empfehlungen zur Verbesserung und Konformität mit den Standards in einem Bericht zusammengefasst. Bei erfolgreichem Abschluss wird die Akkreditierung ausgesprochen und das entsprechende Zertifikat vergeben. Die Akkreditierung hat eine Gültigkeit von drei Jahren. Auf jährlicher Basis werden Aktualisierungen vorgenommen, um die kontinuierliche Einhaltung der Standards zu bestätigen oder auch Änderungen in der Struktur, der Leitung oder des Angebots zu dokumentieren.
Akkreditierung: Bestätigung internationaler Spitzenmedizin
Bereits aktuell während der COVID-19 Pandemie, aber auch in der Zukunft erwarten Patienten und Kunden zunehmend, dass Kinderwunschzentren nachweisen können, dass sie nach internationalen Standards und bewährten Praktiken und Prozessabläufen arbeiten. Patienten werden vermehrt nach Akkreditierungen und entsprechenden Gütesiegeln fragen, um sicherzugehen, dass die Klinik sich für die Umsetzung von Qualitätszielen wie bestmöglichem klinischen Outcome und Patientenzufriedenheit, hohen Hygienestandards, höchster Patienten- und Mitarbeitersicherheit, und weiterer Standards einsetzt.
Und wie wir aus den obigen Beispielen sehen können: Es ist einen Versuch wert!